The armed Man

Nie wieder Krieg und Terror!

Es ist der 19. März 1945, ein lauer Frühlingstag, für den gutes
Wetter angekündigt ist. In Hanau hat man sich in den vergan-
genen Monaten an das Heulen der Sirenen gewöhnt, kündeten
diese doch immer wieder davon, dass sich feindliche Flieger der
Stadt näherten. Mehrere Luftangriffe im Dezember 1944 haben
ihre Spuren hinterlassen. Besonders schwer wurde Hanau am
6. Januar von einem Luftangriff getroffen, bei dem zwar „nur“
90 Tote zu beklagen waren, jedoch 22.000 Menschen ihr Heim
verloren und die Hanauer Altstadt stark beschädigt wurde.
Nach diesen Angriffen haben viele Bewohner die Stadt verlassen
und in den umliegenden Gemeinden Zuflucht gefunden.


In dieser Nacht bleibt es ruhig – zumindest, was die Sirenen betrifft. Man ist
einfach nicht darauf vorbereitet. Niemand rechnet mehr mit dem, was ab
4.20 Uhr für knapp 20 Minuten die Hölle auf Erden bringen wird. Die britische
Royal Air Force fokussiert sich schon seit 1942 nicht mehr auf die Zerstörung
von Industrieanlagen. Es geht eindeutig um die Beseitigung ganzer Städte,
um die Demoralisierung der Bevölkerung. Brandangriffe sind mittlerweile bis
zur Perfektion trainiert worden, und so löst ein genau kalkuliertes Gemisch
aus Sprengbomben, Minen und Stabbrandbomben eine Feuersbrunst aus,
die nichts als Trümmer und Asche zurücklässt. Und Tote. An diesem Morgen
sind es circa 2.200 Menschen, die in den Flammen den Tod finden. Hanau
existiert nicht mehr.


Doch es wurde wieder aufgebaut. Es hat heute ein vollkommen anderes
Gesicht, und nicht nur an einzelnen Punkten in der Stadt wird mit architek-
tonischen Überresten aus der „alten Zeit“ an das Geschehene vom 19. März
1945 erinnert. 75 Jahre nach der Katastrophe wird mit zahlreichen Veranstal-
tungen der Menschen, des Leids, der Hoffnungslosigkeit und des Entsetzens

gedacht. Die evangelische Stadtkirchengemeinde Hanau befasst sich vor
allem an drei Terminen mit dem Thema Krieg, Zerstörung, Flucht und Tod.

 

Ein Höhepunkt zum Jahrestag der Zerstörung Hanaus sollte das Chor- und
Orchesterkonzert sein, das für März 2020 geplant war und auch 2021

nicht möglich war. Das weltweit bekannte und richtungsweisende Werk
„The Armed Man“ von Karl Jenkins ist wie Benjamin Brittens „War Requiem“

ein musikalisches Mahnmal und als Antikriegsstück konzipiert. Es basiert
auf Texten der katholischen Messliturgie, die Jenkins mit anderen Quellen,
vor allem mit dem zu einem Volkslied gewordenen Soldatenlied „L’homme
armé“ aus dem 15. Jahrhundert, verbunden hat. Jenkins hat es für gemischten Chor und große sinfonische Orchesterbesetzung geschrieben. Teile der klassischen Messe wurden mit Passagen aus anderen religiösen und historischen Quellen, zum Beispiel dem islamischen Gebetsruf (Adhaan), der Bibel (Psalmen und Offenbarung des Johannes) und Mahabharata verwoben. Auch werden Texte von Rudyard Kipling, Alfred Lord Tennyson und Tōge Sankichi, der den Atombombenabwurf auf Hiroshima überlebt hat, aber einige Jahre später an Leukämie verstarb, verwendet.

 

Marschierenden Füßen nachempfundene Klänge markieren den Beginn des Werkes. Schrille Töne einer Piccoloflöte, die das französische Soldatenlied „L’homme armé“ aus dem 15. Jahrhundert spielt, überlagern dieses monotone, fast bedrohlich wirkende Vorspiel. „The Armed Man“ mahnt vor der wachsenden Bedrohung durch Kriege, verzichtet aber nicht auf besinnliche
Momente. Die Schrecken, die ein Krieg unweigerlich mit sich bringt, und
die Hoffnung auf Frieden in einem neuen Jahrtausend, wenn „Trauer, Schmerz und Tod überwunden werden können“, führen die Zuhörer auf der ganzen Welt durch ein Wechsel-
bad der Gefühle.


Eine Aufführung wird sämtliche Sinne beanspruchen. Es geht nicht um leicht
verdauliche und mahnende Hinweise auf das Entsetzen, sondern um das Auf-
zeigen der Unerträglichkeit, der Inhumanität und der schieren Unfassbarkeit
von Gewalt. Ideologische Verwirrtheit, Machtmissbrauch und die Sinnlosigkeit
daraus resultierender brutaler Reaktionsmechanismen werden entlarvt und
schonungslos dargestellt. Karl Jenkins nährt mit seiner Musik die Hoffnung,
dass Allmachtsdurst und Selbstherrlichkeit eines Tages doch von Toleranz,
Nächstenliebe und Friedenswillen abgelöst werden.


Traurige Intensität gewinnt dieses Thema zusätzlich durch die grauenvollen
Ereignisse des 19. Februar 2020 in Hanau, bei denen ein geisteskranker
Rechtsradikaler zehn Menschen getötet hat. Auch in ihrem Gedenken werden
die Teilnehmenden den Abend gestalten.




Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die Aufführung „The armed Man“ von Karl Jenkins von 2020 auf 2022 und nun erneut auf unbestimmte Zeit verschoben. Weitere Informationen entnehmen Sie bitte zu gegebener Zeit dieser Seite.

Corona, Kantorei Hanau, 1945, Hanau, Zerstörung, Marienkirche
Corona, Kantorei Hanau, 1945, Hanau, Zerstörung, Marienkirche
Corona, Kantorei Hanau, 1945, Hanau, Zerstörung, Marienkirche